Newsletter-10-2012: Insolvenzplan oder Freigabe nach § 35 II InsO?
Praxis des Insolvenzverfahrens: Insolvenzplan oder Freigabe nach § 35 II InsO?
Zentrales Anliegen des am 01.03.2012 in Kraft getretenen Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) ist eine Stärkung der Gläubigerrechte. Dabei soll nach dem Willen des Gesetzgebers der Insolvenzplan eine wichtige Rolle spielen. Falls dies gelingt, wird der Insolvenzverwalter künftig auch häufiger zwischen der Sanierung im Planverfahren und der Freigabe nach § 35 II InsO zu entscheiden haben.
Ziel der Insolvenzordnung ist eine optimale Gläubigerbefriedigung. Gleichzeitig soll das Unternehmen des Schuldners möglichst erhalten bleiben. Wenn Gläubiger im Rahmen einer Sanierung also bessere Befriedigungsaussichten zu erwarten haben, ist diese einer Betriebsstilllegung gem. §§ 157, 158 InsO und der anschließenden Liquidation des Betriebs auf jeden Fall vorzuziehen. Besondere Möglichkeiten bietet dabei das Planverfahren nach §§ 217 ff. InsO, durch das der Rechtsträger des Unternehmens erhalten bleibt bzw. die Tätigkeit als Einzelunternehmer fortgesetzt werden kann. Eine Sanierung mit Hilfe eines Insolvenzplans ist also insbesondere dann vorteilhaft, wenn es auf den Erhalt des Schuldners in seiner konkreten Rechtspersönlichkeit ankommt. Wobei der Verwalter aber auch hier abwägen muss, ob der Fortführungswert den Liquidationswert übersteigt und das Unternehmen damit sanierungsfähig ist.
Ist ein Planverfahren grundsätzlich durchführbar, stellt die Insolvenzordnung eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung, um dem Plan zum Erfolg zu verhelfen. So verhindert etwa das Obstruktionsverbot des § 245 InsO, dass eine Einigung am Widerstand einzelner Gläubiger scheitert. Zudem stellt das Planverfahren einen Anreiz dar, rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen, da insbesondere die Restschuldbefreiung im Planverfahren einfacher zu erreichen ist als nach den §§ 286 ff. InsO. Auch bleiben unternehmensspezifische Berechtigungen (z. B. Konzessionen oder Zulassungen) bestehen. Nach Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis mit den damit verbundenen Pflichten, Rechtsverhältnissen und öffentlichrechtlichen Genehmigungen wieder auf den Schuldner über, der sofort wieder am Markt handlungsfähig ist.
Eine weitere Alternative bei selbständig tätigen Schuldnern ist die Freigabe nach § 35 II InsO. Wie beim Planverfahren kann der Schuldner auch hier seine Tätigkeit weiter ausüben und Betriebsüberschüsse – sofern diese anfallen – in den Grenzen des § 295 II InsO für sich behalten. Gleichzeitig verbleiben ihm die betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände.
Auch vor einer Freigabeentscheidung ist aber auf Grundlage von vergleichenden Liquiditäts- und Ertragsplanungen für eine (vorläufige) Fortführung einerseits und eine Betriebsstilllegung andererseits zu prüfen, wie eine bestmögliche Gläubigerbefriedigung erreicht werden kann. Mit Urteil vom 09.02.2012 (hierzu gleich nachfolgend) hat der BGH das Instrument der Freigabe gestärkt und entschieden, dass auch Dauerschuldverhältnisse mit der Freigabe grundsätzlich nicht mehr dem Insolvenzverfahren unterliegen, sondern auf den Schuldner übergeleitet werden. Das bedeutet einerseits eine Beschränkung von Haftungsrisiken der Insolvenzmasse aufgrund nicht gekündigter Dauerschuldverhältnisse. Andererseits bleiben für den Schuldner wichtige Verträge erhalten und er ist nicht dem Risiko ausgesetzt, dass ihm für eine Fortführung seiner Tätigkeit unentbehrliche Betriebsgrundlagen durch die Kündigung entzogen werden.
Letztlich muss weiterhin in jedem Einzelfall geprüft werden, ob ein Insolvenzplan oder die Freigabe nach § 35 II InsO vorzuziehen ist. Vieles spricht dafür, dass die Freigabe auch künftig vor allem für die Fälle relevant bleibt, bei denen eine Sanierungsperspektive fehlt, der Schuldner seine selbständige Tätigkeit aber gleichwohl fortsetzen möchte.