Anfechtungsrisiken aus § 135 InsO bei Verkehrs- und Austauschgeschäften mit Gesellschaftern
Rechtsprechung | BGH, Urteil vom 24. Februar 2022 – IX ZR 250/20
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in einer neueren Entscheidung vom 24. Februar 2022 abermals mit der Vorsatzanfechtung und in diesem Zusammenhang insbesondere auch mit den Anfechtungsrisiken für Gesellschafter aus § 135 InsO bei Verkehrs- und Austauschgeschäften befasst:
Nicht geschäftsführende Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft, die mit über 10 % am Haftungskapital beteiligt sind, unterliegen in der Insolvenz den besonderen Anfechtungsrisiken aus § 135 InsO. Diese ergeben sich nach § 135 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 InsO insbesondere bei Rückzahlungen der Gesellschaft auf ein Gesellschafterdarlehen, wenn sie innerhalb des letzten Jahres vor dem Insolvenzantrag erfolgt sind, sowie bei der Bestellung von Sicherheiten, die der Gesellschafter seitens der Gesellschaft zur Absicherung eines solchen Gesellschafterdarlehens erhalten hat. Letztere sind sogar noch anfechtbar, wenn sie innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Insolvenzantrag gewährt wurden.
Ähnliches gilt nach § 135 Abs. 2 InsO hinsichtlich der Rückführung solcher Darlehen mit Dritten, für die ein Gesellschafter eine persönliche Sicherheit übernommen hat, wohingegen § 135 Abs. 3 InsO die Anfechtung im Falle einer Gebrauchsüberlassung von Gegenständen durch einen Gesellschafter regelt.
Anwendung des § 135 InsO auch auf wirtschaftlich gleichgestellte Forderungen aus Verkehrs- und Austauschgeschäften
Schwieriger ist die Beurteilung allerdings dann, wenn – statt eines Darlehens – allgemeine Austauschgeschäfte zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter abgeschlossen wurden. Denn auch hier droht dem Gesellschafter in der Insolvenz die Gefahr einer Anfechtung der erhaltenen Gegenleistung für seine erbrachten Lieferungen oder Leistungen nach § 135 InsO. Hier hat der BGH die Voraussetzungen für eine Anfechtung solcher Leistungen im Rahmen seiner vorgenannten Entscheidung nunmehr konkretisiert: Ob die aus einem solchen Austauschgeschäft herrührende Forderung eines Gesellschafters wirtschaftlich einem Gesellschafterdarlehen entspricht, richte sich im Rahmen einer Gesamtwürdigung nach Art, Inhalt und Umständen des tatsächlich gewährten Zahlungszeitraums und der marktüblichen Konditionen, bei der die Auswirkungen von Fälligkeitsvereinbarung und Stehenlassen zusammen zu betrachten seien.
So kann eine Forderung nach der Rechtsprechung des BGH als darlehensgleich zu beurteilen sein, wenn der Gesellschafter einen fälligen Anspruch darlehensfremder Art nicht gegen die Gesellschaft geltend macht. Dies setzt voraus, dass die Geldforderung des Gesellschafters der Gesellschaft rechtlich oder rein faktisch gestundet wird, weil eine Stundung bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Darlehensgewährung bewirkt. Ebenso können rechts-geschäftliche Fälligkeitsabreden, die im Rahmen von Verkehrsgeschäften zwischen der Gesellschaft und ihrem Gesellschafter getroffen werden, wirtschaftlich einer Darlehensgewährung entsprechen.
Anders sieht es hingegen aus, wenn Leistungen Zug um Zug oder innerhalb der Grenzen eines sogenannten Bargeschäftes abgewickelt werden: In diesen Fällen fehlt es nämlich an einem Kredit an die Gesellschaft. Die Leistungen werden nämlich so ausgetauscht, wie bei entsprechenden Verkehrsgeschäften unter fremden Dritten üblich. Als Bargeschäft wird dabei ein Leistungsaustausch bewertet, bei dem die Leistungen in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang gewechselt werden.
Wird der für ein Bargeschäft unschädliche Zeitraum dagegen überschritten, sei nach Auffassung des BGH entscheidend, ob die zeitliche Streckung des Leistungsaustausches zwischen Gesellschaft und Gesellschafter nach der Vertragsgestaltung oder der tatsächlichen Handhabung in einer Gesamtschau den Schluss auf eine Kreditgewährung rechtfertige.
Dies sei – so der BGH – in der Regel aber erst dann anzunehmen, wenn eine Forderung aus einem Austauschgeschäft länger als drei Monate stehen gelassen werde. Unterhalb dieser Grenze bedürfe es dagegen bei Austauschgeschäften im Rahmen einer Gesamtschau weiterer Indizien, um eine verzögerte Zahlung der Gesellschaft als wirtschaftlich einem Gesellschafterdarlehen gleichstehend zu behandeln.
Fazit – Handlungsempfehlungen zur Minimierung von Anfechtungsrisiken
Nach der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs lässt sich der zeitliche Rahmen, innerhalb dessen Streitfälle zukünftig zu entscheiden sein werden, relativ klar eingrenzen. Von daher ist Gesellschaftern dringend empfohlen, Forderungen aus allgemeinen Austauschgeschäften stets regelmäßig und innerhalb der vereinbarten Zahlungsziele ernsthaft einzufordern und auf eine rechtzeitige Zahlung seitens der Gesellschaft zu drängen.
Anderenfalls könnte es bei einer späteren Anfechtung durch den Insolvenzverwalter zu einem bösen Erwachen kommen, zumal sich der Schaden auch nicht mehr verhindern ließe: Wirksame Verteidigungsmöglichkeiten gibt es nämlich aufgrund der ansonsten nur wenigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 135 InsO im Grunde nicht mehr.
Winfried Bongartz
Rechtsanwalt