Eine Aufrechnungslage und ihre Anfechtbarkeit unterliegen grundsätzlich dem Insolvenzstatut
Rechtsprechung | BGH, Urteil vom 8. Februar 2018 – IX ZR 103/17
Der BGH stellt klar, dass die insolvenzrechtlichen Voraussetzungen und Wirkungen einer Aufrechnung sowie die Anfechtbarkeit einer Aufrechnungslage grundsätzlich Gegenstand des Insolvenzstatuts sind und gemäß § 335 InsO der lex fori concursus, dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung, unterfallen.
Der BGH grenzt ab, wann es für die Anfechtbarkeit der Aufrechnungslage nach § 338 InsO auf eine abweichende lex causae ankommen kann. Ferner klärt er Anwendungsbereich und Beweislast nach § 339 InsO, wenn der Anfechtungsgegner behauptet, es sei das Anfechtungsrecht eines anderen Staates als lex causae maßgebend.
Sachverhalt
Eine schweizerische AG, die spätere Schuldnerin, erwarb und finanzierte in Deutschland Grundstücke. Die Grundstücke verkaufte sie für € 4.900.000 an die beklagte deutsche GmbH. Gegen den Kaufpreisanspruch rechnete die GmbH mit einer angeblichen Darlehensforderung von € 1.400.000 auf. Die Darlehensforderung habe einer Gesellschafterin der beklagten GmbH gegen die spätere Schuldnerin zugestanden, die diese an die GmbH abgetreten habe.
Kurz darauf wurde in der Schweiz das Insolvenzverfahren eröffnet. Eine Gläubigerin, eine schweizerische Bank, wurde im Rahmen einer Verwertungsvereinbarung ermächtigt, Ansprüche anstelle der Masse in eigenem Namen und auf eigene Rechnung und Gefahr zu verfolgen.
Die klagende Bank hält die Aufrechnung für unwirksam und fordert Restkaufpreiszahlung von € 1.400.000.
Das klagezusprechende Urteil der I. Instanz wurde in der Berufung aufgehoben. Auf die zugelassene Revision hob der BGH das Urteil der II. Instanz auf und verwies die Sache zurück.
Entscheidung
Zunächst stellt der BGH klar, dass sich die zivilrechtlichen Aufrechnungsvoraussetzungen auch im Insolvenzfall nach dem gewöhnlichen Aufrechnungsstatut richten. Dies ist nach der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) das deutsche Recht, da die insofern bestimmende Hauptforderung der Schuldnerin aus einem Kaufvertrag über in Deutschland gelegene Grundstücke folgt.
Etwas anderes gilt jedoch für die Frage der Anfechtbarkeit der Aufrechnungslage, für die das allgemeine Insolvenzstatut gemäß § 335 InsO gilt. Dies führt vorliegend zunächst zur Anwendung schweizerischen Konkursrechts.
Das Berufungsgericht nahm über die §§ 338, 339 InsO das deutsche Anfechtungsrecht in Bezug. Der BGH grenzte die Anwendungsbereiche der §§ 335, 338 und 339 InsO gegeneinander ab.
Anfechtbarkeit nach lex causae über § 338 InsO schließt Aufrechnung aus
§ 338 InsO enthält für die Aufrechnung keine die §§ 335, 339 InsO verdrängende Spezialnorm, sondern stellt eine formale Kollisionsregel in die Insolvenzrechtsordnung der Hauptforderung des Schuldners als lex causae für den Fall dar, dass die insolvenzrechtliche Aufrechnungsbefugnis des Anfechtungsgegners nach der lex fori concursus eingeschränkt ist; und zwar aus anderen insolvenzrechtlichen Gründen als dem der Insolvenzanfechtung. Dies führt dann zur hypothetischen Prüfung, ob die Aufrechnung – wäre das Insolvenzverfahren nach der lex causae eröffnet worden – insolvenzfest ist oder nicht.
Im Streitfall wären daher für die deutschem Recht unterfallende Kaufpreisforderung des Schuldners als lex causae die §§ 94 ff InsO, insbesondere die Verjährungsregel des § 146 InsO berufen, wäre nach dem Schweizer Konkursrecht als lex fori concursus die Aufrechnungsbefugnis der beklagten GmbH beschränkt, wozu keine Feststellungen vorlagen, was der BGH aber im Weiteren unterstellt.
§ 339 InsO als Schutznorm und Beweislastregel bei Anfechtbarkeit nach Insolvenzstatut
§ 339 InsO stellt eine Schutzvorschrift des Anfechtungsgegners dar, die dann eingreift, wenn eine Rechtshandlung nach der lex fori concursus anfechtbar ist, was der BGH zugunsten der Klägerin im Streitfall unterstellt.
Die Norm eröffnet nur für den Fall der Insolvenzanfechtung eine alternative Anknüpfung, wenn der Anfechtungsgegner nachweist, dass für die Rechtshandlung das Recht eines anderen Staates – vorliegend das deutsche Anfechtungsrecht – maßgebend ist und die Rechtshandlung nach diesem Recht in keiner Weise angreifbar ist. Vor anderen insolvenzrechtlichen Einschränkungen der lex fori concursus schützt die Norm hingegen nicht.
Zugleich stellt § 339 InsO eine besondere Beweislastregel gegen den Anfechtungsgegner auf, wonach diesen unabhängig von der Beweislastverteilung des anwendbaren Rechts die Beweislast für alle Tatsachen trifft, welche die Rechtshandlung anfechtbar machen könnten. Dies erfasst im Streitfall vor allem die Beweislast dafür, dass die von der beklagten GmbH zur Aufrechnung gestellte Darlehensforderung von € 1.400.000 tatsächlich bestand, was die Klägerin bestreitet.
Der BGH hat die Anwendungsbereiche der §§ 335, 338 und 339 InsO konturiert und abgegrenzt. Er gibt Regeln an die Hand, die sich im internationalen Insolvenzrecht häufig überlagernden Rechtsordnungen gegeneinander abzuschichten und die Frage ihrer Anwendbarkeit im Einzelfall zu lösen.
Johannes Reinheimer
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht