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    Neufassung des § 104 InsO

    Gesetzgebung: Neufassung des § 104 InsO – Fixgeschäfte, Finanzleistungen und vertragliches Liquidationsnetting

    Beseitigung der Folgen eines BGH-Urteils, das erklärtermaßen nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht

    Die Vorschrift des § 104 InsO stellt eine Ausnahme zu dem in § 103 InsO niedergelegten Wahlrecht des Verwalters dar. Durch den Ausschluss des Wahlrechtes unter den in § 104 InsO genannten Voraussetzungen soll den besonderen Gegebenheiten bei Fixgeschäften und Finanzgeschäften Rechnung getragen werden.

    Dem Grundgedanken des Fixgeschäftes bzw. Finanztermingeschäftes nach ist es wesentlich, dass der Geschäftspartner bei Insolvenz des Vertragspartners sofort Klarheit über die Abwicklung erlangt. Er soll in der Lage sein, im Krisenfall jederzeit Ersatzgeschäfte abschließen zu können. Gerade bei den sich ständig ändernden Markt- und Börsenpreisen kann der Vertragspartner häufig gezwungen sein, Deckungskäufe zu tätigen. Dementsprechend werden Fixgeschäfte über die Verfahrenseröffnung hinaus nicht mehr aufrechterhalten. Die Weitergeltung in der Insolvenz würde der Natur der Fixgeschäfte widersprechen. Das allgemeine Wahlrecht des Verwalters hätte zwingend eine unbillige Belastung des Vertragspartners zur Folge, da der Verwalter nur im Fall des Vorteils für die Masse sein Wahlrecht ausüben würde. Die Sicherheit des Rechtsverkehrs gebietet aber eine sofortige, spekulationsfreie Entscheidung.

    Eine Sonderregelung, die insbesondere den praktischen Bedürfnissen der Finanzbranche Rechnung trägt, ist in § 104 Abs. 2 Satz 3 InsO (a. F.) enthalten. Die Regelung betrifft in erster Linie das sogenannte Close-Out Netting, auch Liquidationsnetting genannt. Es handelt sich hierbei um einen zentralen Mechanismus im Rahmen des Eigenkapitalmanagements von Kreditinstituten. Nettingklauseln werden regelmäßig in Rahmenverträgen vereinbart. Zivilrechtlich sind diese als Dauerschuldverhältnisse zu qualifizieren. Beispielhaft sei hier der deutsche Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte genannt. Dabei handelt es sich um standardisierte und regulierungsrechtlich anerkannte Mustervertragswerke.

    Hinter dem Begriff des Netting steht ein einfaches Prinzip: Im Falle des Eintritts eines Insolvenzgrundes bei einem der Vertragspartner werden sämtliche, dem Rahmenvertrag unterstehende Einzelabschlüsse automatisch beendet (sog. Gesamtbeendigung). Anschließende erfolgt – nach vertraglich determinierten Regeln – die gegenseitige Verrechnung. Hierbei werden alle positiven und negativen Marktwerte der Aktiv- und Passivposten zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung saldiert mit der Folge, dass nur eine einzelne Nettoforderung entsteht. Dadurch wird das Risiko der Geschäftspartner auf den aus der Verrechnung resultierenden Saldo beschränkt. Vermieden wird also ein „Rosinenpicken“ hinsichtlich der aus den Einzelverträgen resultierenden und für die Insolvenzmasse günstigen Einzelansprüche. Dies hat unmittelbar zur Folge, dass das Ausfallrisiko und damit die Gefahr eines ansteckenden Dominoeffekts zuungunsten des Vertragspartners beträchtlich reduziert wird. Close-Out Netting leistet daher einen wichtigen Beitrag zur Finanzsystemstabilität.

    Für Rechtsunsicherheit bei – auch in Mustervertragswerken verwendeten – Nettingvereinbarungen sorgte allerdings jüngst ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. Juni 2016¹, dessen Sachverhalt ein Rahmenvertrag nach einem Muster des Bundesverbandes deutscher Banken zugrunde lag. Danach sind die in einem Rahmenvertrag verwendeten Liquidationsnettingklauseln gemäß § 119 InsO unwirksam, wenn sie für die Ausgleichsforderung eine Berechnungsweise vorsehen, die von § 104 Abs. 3 InsO abweicht.

    § 104 Abs. 3 InsO (a. F.) bestimmt, dass für die Berechnung der Ausgleichsforderung abstrakt auf den Unterschied zwischen dem Vertragspreis und dem ermittelten Markt- oder Börsenpreis abgestellt wird. Im Unterschied dazu sahen die Rahmenvereinbarungen keine abstrakte, sondern eine konkrete Berechnungsmethode vor, nach der auf tatsächliche oder hypothetische Ersatzgeschäfte abgestellt wurde.

    Eine Unwirksamkeit der Rahmenvereinbarungen und der Liquidationsnettingklauseln hätte deshalb möglicherweise schwere bankaufsichtsrechtliche Konsequenzen nach sich gezogen: Die Eigenkapitalanforderungen werden auf der Grundlage der Summe der Geschäfte mit positivem Marktwert berechnet. Eine Unwirksamkeit der Klauseln hätte dazu führen können, dass die Banken den aufsichtsrechtlichen Mindestanforderungen an das Eigenkapital nicht mehr entsprechen oder dass Großkreditlimits überschritten würden. Dann hätte die Bankenaufsicht einschreiten müssen. Wenn die rahmenvertragliche Gesamtverrechnung nicht gewährleistet ist, steigen außerdem die Sicherheitserfordernisse und es werden mehr Vermögenswerte und Liquidität gebunden.

    Aufgrund der hierdurch an den deutschen, europäischen und internationalen Finanzmärkten ausgelösten Verunsicherung reagierten daher noch am Tag der Urteilsverkündung Ministerien und Kreditwirtschaft in einem seltenen Fall des konzertierten Zusammenwirkens: Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erließ eine für den Tag der Urteilsverkündung schon vorbereitete Allgemeinverfügung, wonach sämtliche Marktteilnehmer, die Partei von vertraglichen Nettingvereinbarungen mit regulierten Kreditinstituten oder Finanzdienstleistungsinstituten sind, diese Vereinbarungen gemäß ihrem Wortlaut abwickeln mussten². Die Marktakteure wurden also durch Verwaltungsakt zur Umsetzung von höchstrichterlich für nichtig erklärten (!) Vertragsklauseln verpflichtet. Der Anlass zu dieser drastischen Maßnahme ergab sich aus europarechtlichen Vorgaben. Wenig später, am 26. Juni 2016, legte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz einen ersten Gesetzesentwurf zur Neufassung des § 104 InsO vor. Mit diesem sollte sichergestellt werden, dass die auf den deutschen, europäischen und internationalen Finanzmärkten in Rahmenvereinbarungen üblichen Liquidationsnettingklauseln im Einklang mit den aufsichtsrechtlichen Anforderungen weiterhin insolvenzfest vereinbart werden können.

    Die Allgemeinverfügung der BaFin galt allerdings nur bis zum 31. Dezember 2016. Als Reaktion auf das Urteil des BGH hat der Gesetzgeber daher nunmehr reagiert und den § 104 InsO durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und zur Änderung des Gesetzes, betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung (InsOu-EGZPOÄndG)³ neu gefasst. Mit dem neuen Gesetz wird klargestellt, dass die derzeit verwendeten Nettingvereinbarungen auch danach noch rechtlich wirksam und durchsetzbar bleiben.

    Im Zuge der Neugestaltung wurden § 104 Abs. 1 und 2 InsO zusammengefasst und die Definition der Finanzdienstleistungen vereinfacht, indem auf den Begriff der Finanzinstrumente nach der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU Bezug genommen wird. Als entscheidende Änderung zur bisherigen Rechtslage aber erlaubt es § 104 Abs. 4 InsO den Parteien nunmehr, durch vertragliche Vereinbarungen von den Regelungen des § 104 Abs. 1 und 2 InsO abzuweichen, solange sie innerhalb des Grundgedankens der Regelung bleiben. Zudem regelt der ebenfalls neu geschaffene Art. 105a EGInsO, dass die Neufassung rückwirkend für alle Insolvenzverfahren greift, die ab dem 10. Juni 2016 beantragt worden sind. Lücken hinsichtlich der Wirksamkeit bestehender Vereinbarungen sind daher nicht zu befürchten.

    Winfried Bongartz
    
Rechtsanwalt

    ¹ BGH, Urteil v. 09.06.2016 – IX ZR 314/14
    ² Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin), Allgemeinverfügung zu Nettingvereinbarungen im Anwendungsbereich des deutschen Insolvenzrechts vom 09.06.2016 (ED WA-Wp 1000-2016/0001)
    ³ Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und zur Änderung des Gesetzes, betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung vom 22.12.2016, BGBl. I S. 3147 (Nr. 65)

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