Newsletter-10-2012: Folgen der Freigabe eines Geschäftsbetriebs
Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 09.02.2012 – IX ZR 75/11
Gibt der Insolvenzverwalter das Vermögen des Schuldners aus einer selbständigen Tätigkeit frei, können auf die selbständige Tätigkeit bezogene vertragliche Ansprüche von Gläubigern, die nach dem Zugang der Erklärung beim Schuldner entstehen, nur gegen den Schuldner und nicht gegen die Masse verfolgt werden.
Mit dem Urteil vom 09.02.2012 hat der BGH die seit langem diskutierte Frage entschieden, wie sich die Freigabe eines Geschäftsbetriebs nach § 35 II 1 InsO auf ungekündigte Dauerschuldverhältnisse wie etwa Miet-, Dienstleistungs- oder Lieferverträge auswirkt. Strittig war, ob Ansprüche aus solchen Vertragsverhältnissen nach der Freigabe des Geschäftsbetriebs nur noch gegenüber dem Schuldner und dem freigegebenen Vermögen durchgesetzt werden können oder ob auch die Masse weiterhin haftet.
Im vorliegenden Fall hatte der Insolvenzverwalter in dem am 20.01.2009 eröffneten Verfahren die selbständige Tätigkeit des Schuldners am 19.02.2009 freigegeben. Die Klägerin war Vermieterin der vom Schuldner genutzten Gewerbeimmobilie. Sie wurde über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erst informiert, nachdem sie wegen rückständiger Miete am 24.09.2009 einen Mahnbescheid gegen den Schuldner erwirkt hatte. Mit ihrer Klage machte sie Mietzinsforderungen gegen die Insolvenzmasse und den Verwalter persönlich aus § 61 InsO geltend.
Der Bundesgerichtshof entschied nun, dass auf die selbständige Tätigkeit bezogene vertragliche Ansprüche von Gläubigern, die nach dem Zugang der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters bei dem Schuldner entstehen, nur gegenüber diesem und nicht mehr gegen die Masse durchgesetzt werden können. Einer Kündigung des fraglichen Vertragsverhältnisses durch den Insolvenzverwalter bedürfe es nicht.
Ebenso schloss der BGH eine persönliche Haftung des Verwalters aus. Zwar greife die Ersatzpflicht nach § 61 InsO auch ein, wenn der Verwalter eine rechtlich zulässige Kündigung von Dauerschuldverhältnissen versäumt. Die Haftung sei aber auf Verbindlichkeiten begrenzt, die nach dem Zeitpunkt entstehen, zu dem bei einer frühestmöglichen Kündigungserklärung der Vertrag geendet hätte. Im zu entscheidenden Fall lagen zwischen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 20.01.2009 und dem Wirksamwerden der eine Kündigung überflüssig machenden Freigabeerklärung am 20.02.2009 weniger als die in § 109 I 1 InsO vorgesehene Frist von drei Monaten; eine kürzere vertragliche Frist war nicht vereinbart. Die Freigabeerklärung war somit nicht verspätet.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs bringt für den Insolvenzverwalter eine deutliche Erleichterung: Mit der Freigabe der selbständigen Tätigkeit entfällt auch die Haftung der Insolvenzmasse für zukünftige Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, die im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit stehen.