Verfahrenseröffnung trotz Massekostenunterdeckung
Rechtsprechung: LG Hamburg, Beschluss vom 29. Juni 2016 – 326 T 76/16 (rechtskräftig)
Verfahrenseröffnung trotz knapper Massekostenunterdeckung
Nach einer jüngsten Entscheidung des Landgerichts Hamburg verletzt das Insolvenzgericht seinen Beurteilungsspielraum im Rahmen des § 26 Abs. 1 InsO nicht, wenn es ein Verfahren auf der Grundlage eines Gutachtens eröffnet, welches zwar derzeit eine knappe Massekostenunterdeckung ausweist, zugleich aber mögliche künftige, nicht unwahrscheinliche Ansprüche der Insolvenzmasse aufzeigt. Insoweit dürfe der Insolvenzsachverständige für den Fall einer späteren, tatsächlichen Massekostenunterdeckung ankündigen, seinen möglichen Vergütungsanspruch als Insolvenzverwalter um den fehlenden Differenzbetrag zu beschränken, um aufgrund der Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens eine Verfahrenseröffnung auch ohne Verteilungsperspektive für die Insolvenzgläubiger zu ermöglichen.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der in dem Insolvenzeröffnungsverfahren bestellte vorläufige Insolvenzverwalter kam in dem von ihm als Sachverständigen erstatteten Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine kostendeckende Masse vorhanden sei, wenn er selbst seinen Vergütungsanspruch auf den vorhandenen Massebestand beschränke; daraufhin wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.
In der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde vertrat der Schuldnervertreter die Auffassung, dass das Vermögen des Schuldners ersichtlich nicht ausreiche, um die Kosten des Verfahrens zu decken. Die Beschränkung des Vergütungsanspruchs des vorläufigen Verwalters sei nach §§ 63 ff. InsO unzulässig. Zudem würden die Rechte des Schuldners durch den „Dumping-Deal“ zwischen Gericht und Verwalter gravierend verletzt.
Nach Auffassung des LG hat das Insolvenzgericht aber zu Recht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners beschlossen und keine Abweisung mangels Masse vorgenommen: Eine Abweisung nach § 26 Abs. 1 InsO erfolge, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen werde, um die Kosten des Verfahrens zu decken. Vorliegend sei die vom Amtsgericht geteilte Prognose des Insolvenzverwalters, dass eine Kostendeckung gegeben sei, nicht zu beanstanden. Dem Gericht stehe bei der Prognose ein gewisser Beurteilungsspielraum zu; dass es diesen mit seiner Beschlussfassung überschritten habe, sei nicht ersichtlich. Nach den im Gutachten dargelegten Ermittlungen des Insolvenzverwalters sei davon auszugehen, dass ein für die Verfahrenskostendeckung ausreichendes Vermögen vorhanden sein werde. Die freie Masse betrage nach Angaben des Insolvenzverwalters € 3.031,08, wobei die weitere Entwicklung der schuldnerischen Vermögensverhältnisse eine Erhöhung dieses Betrags erwarten lasse. Hinzu kämen gegebenenfalls Ansprüche aus Insolvenzanfechtung in Höhe von insgesamt € 6.851,00.
Dem gegenüber beliefen sich die Kosten des Insolvenzverfahrens auf € 3.892,71. Für den Fall der Unterdeckung habe der vorläufige Insolvenzverwalter angekündigt, seinen Vergütungsanspruch für die vorläufige Insolvenzverwaltung um den Differenzbetrag zu beschränken. Dies stehe ihm frei. Die vom Schuldner dargelegte Drucksituation unter Wettbewerbsgesichtspunkten, die einen Insolvenzverwalter zur Akzeptanz einer geringeren Vergütung zwingen würde, liege jedenfalls in der hiesigen Konstellation nicht vor.
Es liege im Ermessen des Insolvenzverwalters, in welcher Höhe er die Festsetzung beantrage und ob er etwa Abschläge vom Regelsatz vornehme. Die Regelungen der §§ 63 ff. InsO, §§ 2 ff. InsVV dienten nicht dem Schutz des Schuldners vor einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens. In Anbetracht der dargelegten voraussichtlichen Vermögensentwicklung werde sich die Beschränkung des Vergütungsanspruchs auf den vorhandenen Massebestand zudem nicht negativ auswirken. Im Ergebnis werde das Vermögen des Schuldners voraussichtlich ausreichen, um die Kosten des Verfahrens zu decken.
Dass – wie der Schuldner einwendet – von dem vorliegenden Insolvenzverfahren die Gläubiger möglicherweise nicht profitieren würden, stehe der Verfahrenseröffnung ebenfalls nicht entgegen. § 26 InsO schütze nämlich nicht das Verteilungsinteresse der Insolvenzgläubiger; vielmehr seien aufgrund der Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens auch Verfahren ohne Verteilungsperspektive für die Insolvenzgläubiger durchzuführen, wenn nur die Verfahrenskosten gedeckt sind (Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 26 Rn. 1).
Winfried Bongartz
Rechtsanwalt