Vorsatzanfechtung: BGH stärkt Rechte der Gläubiger bei Zwangsvollstreckung
Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 22.06.2017 – IX ZR 111/14
Der für das Insolvenzrecht zuständige Senat des Bundesgerichtshofs hat die Rechte der Gläubiger bei der zwangsweisen Durchsetzung ihrer Forderungen gestärkt und im Rahmen der Vorsatzanfechtung zu den Anforderungen an den Nachweis der Kenntnis des Gläubigers von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO Stellung genommen.
Der Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem die spätere Insolvenzschuldnerin eine (Rest-) Forderung der Gläubigerin erst nach Mahnung und anschließender gerichtlicher Titulierung in Form eines Versäumnisurteils gezahlt und die Gläubigerin zuvor bei der schuldnerischen Hausbank eine Vorpfändung ausgebracht hatte.
Zwar wird gemäß § 133 Abs.1 Satz 2 InsO vermutet, dass der Gläubiger den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners kannte, wenn er wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die anderen Gläubiger benachteiligte. Dabei genügt es nach ständiger Rechtsprechung des BGH, wenn dem Gläubiger die Zahlungseinstellung bekannt war. Dem stehe die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf eine drohende oder bereit eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinweisen. Es genüge daher, dass der Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die – drohende – Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt.
Grob fahrlässige oder leichtfertige Unkenntnis reichen nicht aus
Allerdings dürfe man nicht zu geringe Anforderungen an den Nachweis der von § 13 Abs. 1 Satz 2 InsO geforderten Kenntnis des Gläubigers stellen: Der Schluss auf eine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung lasse sich nicht schon dann ziehen, wenn der Gläubiger die vollständige Erfüllung seiner einzigen Forderung alsbald nach einem von ihm erstrittenen Versäumnisurteil erreiche. Setze ein Gläubiger seine Forderung zwangsweise durch, ermögliche dieser Umstand allein keinen zwingenden Schluss auf Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung, wenn der Gläubiger außer dieser Forderung und den von ihm zur zwangsweisen Durchsetzung der Forderung unternommenen erfolgreichen Schritten keine weiteren konkreten Tatsachen über die Zahlungsunfähigkeit oder die Vermögenslage seines Schuldners kenne.
Vielmehr verlange § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO die Überzeugung, dass der Gläubiger positive Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder der Zahlungseinstellung hatte; eine grob fahrlässige oder leichtfertige Unkenntnis genügen insoweit nicht.
Im Streitfall hatte die Gläubigerin ihre Forderung im Klagewege durchsetzen müssen. Nähere Umstände aus der Sphäre der Schuldnerin, die der Gläubigerin eine sichere Kenntnis über die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin hätten geben können, waren nicht bekannt. Dies genügt nach den nunmehr dargelegten Maßstäben des BGH nicht, um den rechtlich zwingenden Schluss auf eine tatsächlich eingetretene Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung ziehen zu können.
Dabei stellt der BGH – unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats – zugleich auch klar, dass aus dem Umstand, wonach ein Gläubiger bei gewerblich tätigen Schuldnern zwar grundsätzlich mit dem Vorhandensein weiterer Gläubiger des Schuldners mit ungedeckten Ansprüchen rechnen müsse, nicht zugleich auch auf die (drohende) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners geschlossen werden könne. Diese Rechtsprechung setze vielmehr voraus, dass der Gläubiger die (drohende) Zahlungsunfähigkeit bereits kenne und betrifft allein die daran anschließende Frage, ob die feststehende Kenntnis von drohender oder bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit auch die im Rahmen des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO geforderte Kenntnis der Gläubigerbenachteiligung indiziert.
Vor Anfechtung geschützt
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eines Gläubigers sind in der Regel vor Anfechtung geschützt, wenn sie außerhalb des anfechtungsrelevanten Zeitraums von drei Monaten vor Insolvenzantragstellung erfolgt sind.
Im Ergebnis ist daher zusammenfassend festzustellen, dass ein Gläubiger, der sich – ohne nähere Kenntnisse über die Liquiditätslage des Schuldners – zur Durchsetzung seiner Forderung der staatlichen Zwangsmittel bedient, außerhalb des von den Normen der besonderen Insolvenzanfechtung geschützten Drei-Monats-Zeitraums grundsätzlich keinen vom Anfechtungsrecht ausgehenden Beschränkungen unterliegt. Insoweit wird die Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO erschwert, sofern der Gläubiger bereits im (außergerichtlichen) Forderungsbeitreibungsverfahren gewisse Mechanismen beachtet.
Winfried Bongartz
Rechtsanwalt