Weitreichende Haftung des Gesellschafters bei Anfechtung nach § 135 Abs. 2 InsO
Rechtsprechung I BGH, Urteil vom 9. Dezember 2021 – IX ZR 201/20
Mit seiner Entscheidung aus Dezember präzisiert und erweitert der BGH die Haftung des Gesellschafters, der zu Lasten der Gesellschaft aus einer von ihm gestellten Sicherheit befreit worden ist: Auch wenn die Rückführung der besicherten Darlehensverbindlichkeit auf einer Rechtshandlung des Insolvenzverwalters beruht, greift der anfechtungsrechtliche Rückgewähranspruch analog §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 S. 1 InsO. Dies gilt selbst dann, wenn Ansprüche des Darlehensgebers aus der vom Gesellschafter gestellten Sicherheit bereits verjährt sind.
Im entschiedenen Fall hatte eine GmbH (die spätere Insolvenzschuldnerin) ein Bankdarlehen in Anspruch genommen, das durch eine Höchstbetragsbürgschaft ihres alleinigen Gesellschafters und Geschäftsführers besichert war. Als weitere Sicherheit diente der Bank eine Globalzession aller bestehenden und künftigen Forderungen der Schuldnerin aus Warenlieferungen und Leistungen. Im November 2012 kam es zur Insolvenzeröffnung und der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Die zwischen Mai 2012 und Juli 2013 vereinnahmten Kundenzahlungen rechnete der Kläger am 9. Mai 2018 ab und leitete aufgrund der Globalzession einen Betrag von insgesamt € 30.545,87 an die Bank weiter. Diesen Betrag machte er anschließend im Wege der Insolvenzanfechtung nach § 135 Abs. 2 InsO gegenüber dem beklagten Gesellschafter geltend. Der Beklagte erhob die Einrede der Verjährung.
Nachdem das Landgericht die Klage abgewiesen hatte, verurteilte das Berufungsgericht den Beklagten zur Rückzahlung von € 30.545,87 nebst Zinsen. Dessen Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) blieb ohne Erfolg.
Der BGH bestätigt in dem vorliegenden Urteil zunächst frühere Entscheidungen, wonach §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 S. 1 InsO analog auch auf Rechtshandlungen nach Insolvenzeröffnung anwendbar sind. Die Besonderheit des Falls lag nun darin, dass erst eine durch den Insolvenzverwalter vorgenommene Rechtshandlung – nämlich die Überweisung der eingezogenen Forderungen – zur (teilweisen) Befreiung des Gesellschafters aus seiner Bürgschaftsverpflichtung geführt hatte. Zudem wurden die eingezogenen Forderungen erst rund fünfeinhalb Jahre nach Insolvenzeröffnung an die Darlehensgeberin ausgekehrt – zu einem Zeitpunkt, als Ansprüche der Bank aus der vom Gesellschafter gestellten Höchstbetragsbürgschaft bereits verjährt waren.
Unter Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung entschied der BGH, dass § 135 Abs. 2 InsO jede Art der Befriedigung erfasst, die zum Freiwerden einer Gesellschaftersicherheit führt. Nicht erforderlich ist, dass eine Rechtshandlung der Gesellschaft zu Grunde liegt. Auch Rechtshandlungen Dritter (wie hier des Insolvenzverwalters) können zur Anfechtung führen. Ebenso wenig hatte die durch den Beklagten erhobene Einrede der Verjährung Erfolg: Maßgeblich ist für den BGH allein die Verjährungsfrist des eigentlichen Anfechtungsanspruchs. Deren Beginn setzt voraus, dass der Anspruch gemäß § 199 Abs. 1 BGB entstanden ist, also erstmals vom Gläubiger geltend gemacht und mit einer Klage durchgesetzt werden kann, was Fälligkeit erfordert. Fällig ist ein Anfechtungsanspruch nach § 135 Abs. 2 InsO frühestens, wenn der Dritte Befriedigung für seine Forderung auf Rückgewähr des Darlehens erlangt hat und die Befreiung des Gesellschafters von der gewährten Sicherheit eintritt.
Schließlich ist der aus §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 S. 1 InsO resultierenden Rückgewähranspruchs auch nicht auf die zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bestehende Darlehensforderung beschränkt. Erhöht sich die Forderung (etwa aufgrund laufender Zinsen) nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, weil sich die Befriedigung aus der Gesellschaftssicherheit verzögert, erhöht sich der Anfechtungsbetrag gegenüber dem Gesellschafter entsprechend.
Bereits bislang bestand ein hohes Anfechtungsrisiko, wenn zu Lasten des Gesellschaftsvermögens Darlehen zurückgeführt wurden, die Gesellschafter besichert hatten. Mit der vorliegenden Entscheidung hat sich dieses Risiko nochmals deutlich verschärft.
Dr. Christoph Glatt LL.M.
Rechtsanwalt