Wie verändern Kryptowährungen Insolvenzverfahren?
Bitcoin in der Insolvenzmasse
Frau Cruciano, bevor wir tiefer in das Thema einsteigen, muss sicherlich vorab geklärt werden, ob Kryptowährungen zur Insolvenzmasse gehören.
Da sich Kryptowährungen schuldrechtlich verwerten lassen, besitzen sie einen Vermögenswert und sind infolgedessen grundsätzlich als Teil der Insolvenzmasse i. S. d. § 35 Abs. 1 InsO anzusehen. Sie können damit vom Insolvenzverwalter verwertet und zur Befriedigung der Gläubiger genutzt werden.
Neben der grundsätzlichen Frage der Massezugehörigkeit steht die noch ungeklärte Rechtsfrage, ob Kryptowährung eine Sache im Sinne des § 90 BGB ist mit der Folge, dass daran Eigentum begründet werden kann oder ob Kryptowährungen sonstige (immaterielle) Gegenstände gem. § 453 Abs. 1 S. 1 BGB sind. Diese Unterscheidung ist insbesondere für die Aus- und Absonderungsrechte Dritter relevant.
Wie lassen sich z. B. Bitcoins im Insolvenzverfahren verwerten?
Die Verwertung von Bitcoins kann durch Verkauf über eine Bitcoin-Börse erfolgen oder online auf einem sogenannten Börsen-Marktplatz oder über einen freihändigen Verkauf z. B. über eine Zeitungsanzeige oder Ähnliches. Bei einem Verkauf über die Bitcoin-Börse werden Bitcoins direkt vom Anbieter gekauft bzw. an diesen verkauft. Der Verkaufswert wird nach dem aktuellen Kurs berechnet.
Auf einem Börsen-Marktplatz erfolgen Verkauf und Kauf online zwischen den registrierten Nutzern. Der Online-Betreiber ist nur Anbieter der Plattform für die Handelsgeschäfte. Da zwischen der Einstellung eines verbindlichen Angebots und der Annahme bzw. der Zahlung eine längere Zeit liegen kann, kommt es ggf. zu erheblichen Kursänderungen.
Beim freihändigen Verkauf werden im Austausch gegen Geld die Zugangsdaten des Wallets bzw. der private Schlüssel in verkörperter Form herausgegeben.
Der Zeitpunkt der Verwertung spielt bei Kryptowährungen eine große Rolle. Der Bitcoin-Kurs gilt als hoch volatil. Durch einen möglichen zukünftigen Wertanstieg könnte der Verwalter zum strategischen Verkauf verleitet werden. Das Gesetz gibt jedoch eine zeitnahe Verwertung vor. Wie sieht es in der Praxis aus?
Es stimmt, der Insolvenzverwalter ist einerseits nach § 159 InsO verpflichtet, Kryptowährungen als Teil der Insolvenzmasse unverzüglich zu verwerten. Andererseits hat er den obersten Grundsatz der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung (§ 1 InsO) zu wahren. Ich möchte diese wichtigen Grundsätze am Beispiel des bislang spektakulärsten Insolvenzverfahrens mit Kryptowährung veranschaulichen.
Der japanischen Handelsplattform Mt. Gox, einer in der Vergangenheit weltgrößten Bitcoin-Börse, wurden im Jahr 2014 bei einem Hackerangriff 850.000 Bitcoins im Wert von damals rund 424.000.000 US-Dollar gestohlen, was zur Insolvenzantragstellung führte. Knapp 200.000 der Bitcoins konnten später durch den Insolvenzverwalter der Mt. Gox sichergestellt werden.
Der Insolvenzverwalter begann Ende 2017 bzw. Anfang 2018 damit, knapp 35.000 Bitcoins und Bitcoin Cash direkt an der Börse zu verkaufen. Für die Wertermittlung der angemeldeten Forderungen hatte er den Kurswert aus dem Jahr 2014 in Höhe von € 392 zugrunde gelegt. Seitdem hat er keine weiteren Bitcoins und Bitcoin Cash mehr verkauft.
Nach dem japanischen Insolvenzrecht erhalten die Gläubiger bei Schadensersatzzahlungen nur den Wert der Kryptowährung zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. In der Zwischenzeit war der Kurs des Bitcoins allerdings um das 40-fache gestiegen, sodass der Wert der verbliebenen Bitcoins in der Insolvenzmasse die Verbindlichkeiten um ein Vielfaches übersteigt. Damit würde bei (Voll-)Befriedigung der Gläubiger der Rest an den umstrittenen Eigentümer der Bitcoin-Börse zufallen und diesen damit zum Milliardär machen.
Daher forderten die Gläubiger das japanische Gericht auf, das Insolvenzverfahren aufzuheben, da die Insolvenzgründe nicht mehr vorliegen. Im Dezember 2018 entschied das Gericht, Mt. Gox aus der Insolvenz zu entlassen. Die verbleibenden Gläubiger erhalten ihre Entschädigung in Bitcoin mit dem jetzigen Gegenwert.
Wenn man sich die Kursbewegungen der vergangenen Jahre im Detail ansieht, so ist festzustellen, dass Kursschwankungen nach oben von mehreren 100% sowie Preiseinbrüche von 50% oder mehr binnen kurzer Zeiträume nicht unüblich sind. So erreichte der Bitcoin beispielsweise im Winter 2017 seinen bisherigen Höchststand von rund € 17.000,00. Seitdem ging es bis heute beständig bergab. Derzeit, Stand 1. Februar 2019, liegt der aktuelle Wechselkurs bei rund € 2.950,00.
Um auf Ihre Frage zurück zu kommen: Unter Berücksichtigung der eingangs erwähnten Grundsätze könnte eine spekulative Vorgehensweise zur Verwertung von Kryptowährung in der bloßen Hoffnung auf die Änderung der Marktpreise nur dann gerechtfertigt sein, wenn für den Insolvenzverwalter ein Bitcoin-Crash erkennbar ist.
Rechnen Sie damit, dass die gesetzlichen Regelungen in Zukunft angepasst werden?
Eine gesetzliche Regelung oder gerichtliche Klärung über die Eigentumsrechte an digitalen Währungen ist momentan noch nicht absehbar, so dass die Insolvenzverwalter derzeit keine klaren Handlungsanweisungen haben. Diesem Umstand könnte kurzfristig nur über eine Änderung der Insolvenzordnung begegnet werden.