Bundesfinanzhof kippt Sanierungserlass
Rechtsprechung: BFH, Beschluss vom 28.11.2016 – GrS 1/15
Zum Steuererlass aus Billigkeitsgründen nach dem sogenannten Sanierungserlass des BMF
Der große Senat des Bundesfinanzhofs hatte über eine Vorlage des X. Senats des Bundesfinanzhofs zu entscheiden, die die Rechtmäßigkeit des sog. Sanierungserlasses des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) aus dem Jahre 2003 (BStBl I 2003, 240) betrifft (www.bundesfinanzhof/Entscheidungen.de – online veröffentlicht am 08.02.2017).
Der Entscheidung lag folgender – hier verkürzt wiedergegebener – Sachverhalt zugrunde: Der (Revisions-)Kläger, der ein Einzelunternehmen betrieb, hatte im Jahre 2005 eine Vereinbarung mit einer Sparkasse und einer Bankengruppe getroffen, wonach im Falle einer Vergleichszahlung an die Kreditinstitute, diese auf die noch ausstehenden Restzahlungen verzichten. Der Kläger hatte in den Vorjahren lediglich Verluste erwirtschaftet Die Vergleichszahlung des Klägers erfolgte im Jahre 2007, daraufhin erklärten die Banken vereinbarungsgemäß den Forderungsverzicht. Das beklagte Land (Finanzamt) berücksichtigte bei den Einkünften des Klägers aus dem Gewerbebetrieb die Erträge aus dem Forderungsverzicht und setzte mit einem Steuerbescheid Einkommensteuer gegen den Kläger fest. Der Kläger berief sich darauf, dass der sich aus dem Forderungsverzicht ergebende Sanierungsgewinn nicht zu berücksichtigen sei. Das Finanzamt war der Auffassung, dass die Voraussetzungen des sog. Sanierungserlasses des BMF nicht erfüllt waren, da die Sanierungseignung des Forderungsverzichtes zu verneinen war, denn der Kläger habe in den Folgejahren wiederum Verluste erwirtschaftet.
Soweit also der Sachverhalt. Zur Gesetzeshistorie und Entwicklung der Rechtsprechung sowie Darstellung der Literaturmeinungen zum Sanierungsprivileg, sei auf die ausführliche und instruktive Darstellung in den Beschlussgründen der BFH-Entscheidung des Großen Senats verwiesen (ebenda, Rd-Nr. 50 ff). Nachfolgend werden nur einige Eckpunkte aufgeführt.
Durch das Körperschaftssteuerreformgesetz v. 31.08.1976 wurde § 3 Nr. 66 (a.F.) EStG eingeführt. Danach waren Erhöhungen des Betriebsvermögens steuerfrei, die dadurch entstehen, das Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden. Über die Verweisungsnorm des § 8 Abs. 1 KStG 1977, galt die Regelung auch für die Körperschaftssteuer. Während dieser Zeit entwickelte die Rechtsprechung des BFH folgende Voraussetzungen, die gemäß § 3 Nr. 66 (a.F.) EStG erfüllt sein mussten: die Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens, der volle oder teilweise Erlass seiner Schuldner, die Sanierungsabsicht der Gläubiger und die Sanierungseignung des Schuldenerlasses (ebenda, Rd-Nr. 61). Die Regelung des § 3 Nr. 66 a.F. wurde durch den Gesetzgeber im Jahre 1997 durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform wieder aufgehoben (BGBl. I, S. 2590). Nach der Gesetzesänderung war eine Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen nur im Wege von Billigkeitsmaßnahmen im Einzelfall zu erlangen. Mit Schreiben vom 27.03.2003 („Sanierungserlass“) legte das BMF Billigkeitsgründe fest und ergänzte diese mit Schreiben vom 22.12.2009.
Der Große Senat führt aus, dass der „Sanierungserlass“ des BMF den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Dieser Verfassungsgrundsatz ist im Abgabenrecht in § 85 Satz 1 AO normiert. Der „Sanierungserlass“ beziehe sich ausdrücklich auf die Vorschriften der §§ 163, 227 AO, deren gesetzliche Voraussetzungen sieht der große Senat allerdings als nicht erfüllt an.
Gemäß § 163 Abs. 1 AO können Steuern aus Billigkeitsgründen – nach Lage des Einzelfalls – niedriger festgesetzt werden oder steuererhöhende Besteuerungsgrundlagen unberücksichtigt bleiben. Gemäß § 227 AO hat die Finanzverwaltung die Möglichkeit Ansprüche aus dem Steuerverhältnis ganz oder teilweise zu erlassen, soweit deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre.
Der Große Senat stellt fest, dass sowohl im Festsetzungs- als auch im Erhebungsverfahren die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung ist (§ 5 AO), deren Inhalt und Grenzen aber durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt und somit im gerichtlichen Verfahren überprüfbar ist. Die Unbilligkeit sei eben keine ausschließliche Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung, bei der die Behörde durch eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift ihr Ermessen auf Null reduzieren könne. Auch handele es sich nicht um eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, die im Übrigen nach ständiger BFH-Rechtsprechung keine Bindungswirkung im gerichtlichen Verfahren entfalten würde. Die Unbilligkeit im Einzelfall könne sich sowohl aus persönlichen als auch aus sachlichen Gründen ergeben. Der „Sanierungserlass“ entspreche aber nicht den Voraussetzungen einer sachlichen Unbilligkeit.
„Billigkeitsmaßnahmen dienen der Anpassung des steuerrechtlichen Ergebnisses an die Besonderheiten des Einzelfalls, um Rechtsfolgen auszugleichen, die das Ziel der typisierenden gesetzlichen Vorschrift verfehlen und deshalb ungerecht erscheinen. Sie gleichen Härten im Einzelfall aus, die der steuerrechtlichen Wertentscheidung des Gesetzgebers nicht entsprechen und damit zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis führen (vgl. die Nachweise in Klein/Rüsken a.a.O., § 163 Rz 32). Gründe außerhalb des Steuerrecht wie z.B. wirtschafts-, arbeits-, sozial- oder kulturpolitische Gründe können einen Billigkeitsentscheid somit nicht rechtfertigen (BFH-Urteile vom 19. Januar 1965 VII 22/62 S, BFHE 81, 572, BStBl III 1965, 206, und in BFHE 99, BStBl II 1970, 696).“ (ebenda, Rd-Nr. 113)
Eine sachliche Unbilligkeit ergibt sich nicht schon allein aus der Tatsache, dass durch einen Forderungsverzicht von Gläubigern ein Sanierungsgewinn entstanden ist, der zu keinem Liquiditätszufluss oder Zuwachs an Leistungsfähigkeit geführt habe (atypischer Einzelfall), denn die Gewinnermittlung und Besteuerung des durch einen Forderungsverzicht entstandenen Gewinns sei die Folge der gesetzlich vorgegebenen Gewinnermittlungsart (vgl. § 3 Abs. 1 und 3 EStG, § 5 EStG, § 8 Abs. 1 KStG). Auch der in Sanierungsabsicht erklärte Forderungsverzicht führt nicht zur Annahme einer sachlichen Unbilligkeit. In der Literatur wird teilweise vertreten, dass durch den Schuldenerlass lediglich der endgültige Zusammenbruch eines notleidenden Unternehmens verhindert werde und kein Zuwachs an Leistungsfähigkeit zu verzeichnen sei. Dieser Auffassung folgt der Große Senat nicht, denn wenn dies nicht der Fall sein würde, wäre bereits die Sanierungseignung des Forderungsverzichtes zu verneinen. Auch sei die Steigerung der Leistungsfähigkeit bereits mit dem Verzicht auf die Forderungen eingetreten. Nach dem „Sanierungserlass“ ist auch keine Einzelfallprüfung möglich, da dieser nur typisierende Regelungen enthält, die weder die Höhe des Sanierungsgewinns, der darauf entfallenden Steuer oder die konkrete Gefährdung der Unternehmenssanierung berücksichtigt. Zwar werde unter Nr. III des „Sanierungserlasses“ die vorrangige Verlustverrechnung gefordert. Es werde aber nicht berücksichtigt, dass im Einzelfall der verbleibende Sanierungsgewinn so gering ausfallen könne, dass eine Gefährdung der Unternehmenssanierung nicht zu befürchten sei. Der „Sanierungserlass“ gewährt in jedem Fall eines verbleibenden Sanierungsgewinns den Steuererlass.
Die im BMF-Schreiben (BStBl I 2003, 240) unter Nr. II geforderten typisierenden Voraussetzung eines Sanierungsgewinns (Sanierungsbedürftigkeit und -fähigkeit, Sanierungseignung des Schuldenerlasses, Sanierungsabsicht der Gläubiger) werden angenommen, wenn ein Sanierungsplan vorliegt. Diese Typisierung geht auf die frühere BFH-Rechtsprechung zu § 3 Nr. 66 EStG a.F. zurück, die im Rahmen der damaligen gesetzlichen Regelung zulässig war. Da eine Regelung des Gesetzgebers hierzu fehlt bzw. der Gesetzgeber die damalige Regelung aufgehoben hat, entspricht es nicht dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, wenn die Finanzverwaltung dies im Rahmen eines Steuererlasses aus Billigkeitsgründen festlegt. Auch der im „Sanierungserlass“ vertretenen Ansicht des BMF (Nr. II Abs. 1), dass die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. sachlich unbillig sei, da sie mit den Zielen der InsO in Konflikt stehe, tritt der Große Senat entgegen, da derartige Zielkonflikte allein durch den Gesetzgeber zu lösen seien und nicht in die Kompetenz der Finanzverwaltung fallen würden.
Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Empfehlung des Finanzausschusses und des Wirtschaftsausschusses vom 27.02.2017 an den Bundesrat zur Einfügung eines § 3 a in das Einkommensteuergesetz und das Gewerbesteuergesetz (Bundesrats-Drucksache 59/1/17). Die Empfehlung sieht vor, dass ein Sanierungsgewinn auf Antrag steuerfrei ist, soweit der Schuldenerlass als Sanierungsmaßnahme geeignet ist und aus betrieblichen Gründen in Sanierungsabsicht erfolgt.
Kristina Vojinovic
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht