Abschied von der „Rückgewinnungshilfe“
Praxis des Insolvenzrechts: Entwurf eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung
Abschied von der „Rückgewinnungshilfe“ in Fällen von Kriminalinsolvenzen
Auf dem Deutschen Insolvenzrechtstag in Berlin am 9. März 2016 wurde der neue Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung von Bundesjustizminister Heiko Maas vorgestellt.
Der Entwurf verfolgt das Ziel, das Recht der Vermögensabschöpfung durch eine grundlegende Reform zu vereinfachen und Abschöpfungslücken zu schließen. Dies soll auch zu einer Stärkung des Opferschutzes führen. Das geltende Recht werde dem Opferschutzgedanken von durch Wirtschaftskriminalität geschädigten natürlichen oder juristischen Personen nicht gerecht: Diese müssten zunächst einen mit erheblichem Kostenrisiko verbundenen vollstreckbaren zivilrechtlichen Titel erwirken, sodann Pfändungspfandrechte an teilweise schwer zu konkretisierenden Vermögensgegenständen erwirken und schließlich noch die strafprozessuale Zulassung zur Zwangsvollstreckung betreiben. Dieses als „Rückgewinnungshilfe“ im geltenden Recht vorgesehene Verfahren wird im vorliegenden Entwurf neu strukturiert. Dies ist insbesondere für Verwalter in Fällen von Kriminalinsolvenzen, in denen die Staatsanwaltschaft inkriminiertes Vermögen aus der künftigen Insolvenzmasse sichergestellt hat, von hoher Praxisrelevanz.
Der Entwurf besticht durch radikale Änderungen im materiellen Strafrecht, insbesondere die Streichung der Verfallsvorschrift des § 73 Abs.1 S. 2 StGB und des sich anschließenden Modells der Opferentschädigung in Form der sogenannten Rückgewinnungshilfe. An dessen Stelle tritt ein Reformmodell mit einer einheitlichen Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern, in dem auch die ständige Rechtsprechung des BGH zum „Bruttoprinzip“ und zur Vermögensabschöpfung bei Drittbegünstigten gesetzliche Regelungen findet.
Der Entwurf entlastet das Strafverfahren von komplizierten Fragestellungen, die den zivilrechtlichen Schadensausgleich betreffen und befreit damit Staatsanwaltschaft und Strafgerichte von aufwändigen Entschädigungsverfahren, die dem kriminalpoltischen Zweck der Abschöpfung nicht gerecht werden. Insbesondere die Streichung des bisherigen zeitaufwändigen Verfahrens zur Zulassung der Zwangsvollstreckung nach § 111g Abs. 2 StPO (der eigentliche Kern der „Rückgewinnungshilfe“ nach geltendem Recht) und die Abschaffung des undurchsichtigen staatlichen „Auffangrechtserwerbs“ nach § 111i StPO lässt Staatsanwaltschaften und Strafgerichte aufatmen.
Mit dem neuen Verfahren zur Vermögensabschöpfung nach § 111i StPO-E löst der Entwurf das bisher gesetzlich nicht geregelte Spannungsverhältnis zwischen Insolvenzrecht und strafrechtlichen Abschöpfungsmaßnahmen auf. Im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners, welches aufgrund des Verdachts krimineller Machenschaften sichergestellt worden ist, erlischt das Sicherungsrecht des Staates zugunsten des Insolvenzrechts. Es findet eine Verteilung der von der Staatsanwaltschaft sichergestellten Vermögenswerte für die Befriedigung der geschädigten Gläubiger nach der Insolvenzordnung statt, § 111i Abs.1 StPO-E. Wenn es mehrere Geschädigte gibt und der Wert des sichergestellten Vermögens nicht ausreicht, um die Ansprüche der Geschädigten zu befriedigen, kann sogar die Staatsanwaltschaft selbst Insolvenzantrag stellen, § 111i Abs. 2 StPO. Der Referentenentwurf sieht daher die Insolvenzordnung als das gesetzlich vorgesehene Instrument für die Verteilung der Vermögenswerte des Schuldners an die geschädigten Gläubiger vor (anders: OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 9. Juli 2015). Lediglich im Falle des Überschusses an Vermögen soll der Staat ein „Auffangrecht” erwerben, § 111i Abs. 3 StPO. Sonst hat die Insolvenzordnung eindeutig den Vorrang vor den staatlichen Abschöpfungsmaßnahmen. Ein Wettlauf der Gläubiger, den die bisherige „Rückgewinnungshilfe“ forciert, wird durch die Einbeziehung der Insolvenzordnung in das strafprozessuale Entschädigungsverfahren unterbunden. Dadurch setzt der Entwurf auf eine an der Einheit der Rechtsordnung orientierte Schadenswiedergutmachung.
Dr. Christoph Glatt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Insolvenzrecht