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    EU-Vorschlag für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren

    Gesetzgebung: Richtlinienvorschlag der EU-Kommission für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren

    Am 22. November 2016 hat die Europäische Kommission ihren mit Spannung erwarteten Richtlinienentwurf für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren veröffentlicht, nämlich den

    Richtlinienvorschlag COM(2016) 723 zu präventiven Restrukturierungsrahmen, zur zweiten Chance und zu Maßnahmen zur stärkeren Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU.

    Damit legt die Europäische Kommission ein europäisches Maßnahmenpaket zu Unternehmensinsolvenzen vor. Die Vorlage des Richtlinienentwurfs, der bislang nur in englischer Sprache vorliegt, leitet das ordentliche Gesetzgebungsverfahren der EU ein. Er bedarf der Mitwirkung des Rates und des Europäischen Parlamentes, wobei sich das weitere Verfahren ohne Weiteres noch über einen längeren Zeitraum erstrecken kann. Die verbindliche Richtlinie haben die einzelnen Mitgliedstaaten dann innerhalb von zwei Jahren nach ihrem Inkrafttreten in nationales Recht umzusetzen.

    Dem Richtlinienentwurf vorausgegangen war eine Empfehlung der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2014. Der Entwurf deckt sich in Teilen mit dem Inhalt der Empfehlung aus 2014, aber er vertieft diese auch. Die Pläne der EU-Kommission reichen weiter, als viele in der Branche erwartet haben.

    Worum geht‘s?

    Auch wenn eine detaillierte Analyse von Inhalt und Tragweite des Vorschlags in der Kürze der Zeit und in diesem Rahmen selbstverständlich nicht erfolgen kann, so sind jedenfalls die folgenden wesentlichen Grundsätze hervorzuheben:

    • Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren:

    Den Kernpunkt des Vorschlags bildet das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren, durch das langwierige, komplexe und kostspielige Gerichtsverfahren vermieden werden sollen (Titel II):

    • Zugangsvoraussetzungen
      Das außerinsolvenzliche Sanierungsverfahren betrifft Unternehmen „in Insolvenznähe“ mit finanziellen Schwierigkeiten. Besondere Zugangsvoraussetzungen regelt der Entwurf nicht, es ist lediglich von einer „Wahrscheinlichkeit der Insolvenz“ die Rede.
    • Befristete „Atempause“ für Schuldnerunternehmen
      Während dieses Verfahrens kann ein Vollstreckungsaufschub von bis zu vier Monaten, unter bestimmten Voraussetzungen bis maximal zwölf Monate, angeordnet werden, um einen Sanierungsplan zu erstellen. Während dieser Zeit sind die Insolvenzantragspflichten für den Schuldner ausgesetzt und es kann auf Gläubigeranträge kein Insolvenzverfahren eröffnet werden. Hiervon können allenfalls bei Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit Ausnahmen vorgesehen werden. Dann endet das Sanierungsverfahren, aber erst, nachdem ein Gericht entschieden hat, ob es die Sanierungsaussichten rechtfertigen, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückzustellen.
    • Weitgehend schuldnerbestimmtes Verfahren
      Der Schuldner soll während des gesamten Sanierungsverfahrens die volle Kontrolle über das Unternehmen (Vermögen und Geschäftsführung) behalten. Es können aber Mediatoren und Überwacher durch das Gericht bestellt werden.
    • Keine Blockade von Maßnahmen durch Minderheiten
      Ein mehrheitlich beschlossener Sanierungsplan, der in Gläubigerrechte eingreift, wird für alle Gläubiger verbindlich, wenn ein Gericht diesen Plan bestätigt. Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch eine Zustimmungsersetzung ablehnender Gläubiger(gruppen) möglich, sofern gegenüber einer Liquidation keine Schlechterstellung der Gläubiger erfolgt (best interest of creditors test).
    • Besonderer Schutz von Finanzierungsmaßnahmen
      Finanzierungen im Zeitraum des Vollstreckungsschutzes werden speziell geschützt und erhöhen die Chancen auf eine erfolgreiche Umstrukturierung (zum Beispiel Vorrang gegenüber Altforderungen, Verbot der Insolvenzanfechtung).
    • Voller Schutz der Arbeitnehmerrechte
      Durch die präventiven Umstrukturierungsverfahren sollen Arbeitnehmer arbeitsrechtlich durch die bestehenden EU-Rechtsvorschriften vollen Schutz genießen.

    • Zweite Chance für Unternehmer
    Der Richtlinienvorschlag sieht ferner unter Titel III die Entschuldung redlicher Unternehmer innerhalb einer einheitlichen Entschuldungsfrist von drei Jahren vor (Art. 19 ff.).

    • Professionalisierung aller beteiligten Funktionsträger
    Schulungen und Spezialisierung von Angehörigen der Rechtsberufe und Gerichte sowie der Einsatz von Technologien (zum Beispiel für die elektronische Antragstellung, Mitteilungen an Gläubiger) sollen die Effizienz verbessern und die Insolvenz- und Umstrukturierungsverfahren sowie Verfahren für eine zweite Chance verkürzen. Die Kommission erwartet bei den Beteiligten eine angemessene Aus- und Fortbildung, Unabhängigkeit und Kompetenz, die Anerkennung eines Verhaltenskodex sowie klare, transparente und faire Auswahlverfahren (vgl. Titel IV).

    Blick auf Deutschland

    Die Europäische Kommission hat neben dem Richtlinienvorschlag auch sog. „fact sheets“ vorgelegt, in denen auf der Basis des Berichts der Weltbank 2017 die Effizienz von Insolvenzrechtsrahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten dargelegt wird. Danach wird Deutschland bereits jetzt als der zweiteffektivste EU-Mitgliedsstaat in Bezug auf Insolvenzverfahren dargestellt. Das deutsche Insolvenzrecht gilt bereits jetzt als eines der leistungsstärksten der Welt, wobei die Zahl der Insolvenzen in Deutschland auf dem niedrigsten Stand seit Jahren verharrt. Dennoch dürfte der EU-Vorstoß auch für Deutschland gravierende Folgen haben, sobald er endgültig verabschiedet wird.

    Selbst wenn die Anliegen der EU-Kommission grundsätzlich zu begrüßen sind, so erscheint es zweifelhaft, inwieweit der vorliegende Entwurf diese Ziele erreichen kann, ohne schutzwürdige Interessen der Gläubiger erheblich zu beeinträchtigen. Der Entwurf würde zudem tiefgreifende Einschnitte in das geltende deutsche Insolvenzrecht erfordern. Folgende Punkte sind daher insbesondere hervorzuheben:

    • möglicher Anreiz für Schuldner, eine gegebenenfalls bereits unvermeidliche Insolvenz hinauszuzögern, verbunden mit einer daraus resultierenden
    • Masseschmälerung auf Kosten der Gläubiger unter dem Schutz eines bis zu einjährigen Vollstreckungsaufschubs;
    • unzureichende Schutzmechanismen (nur im Einzelfall vorgesehene Bestellung eines Sachwalters);
    • Abgrenzung der „Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz“ als Eröffnungsvoraussetzung von dem Insolvenzgrund der „drohenden Zahlungsunfähigkeit“

    Ausblick

    In den kommenden Monaten wird nun die Diskussion darüber beginnen, ob und wie ein solches vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren in Einklang mit dem deutschen Insolvenz- und Gesellschaftsrecht zu bringen ist, zum Beispiel hinsichtlich der Vereinbarkeit mit den bisherigen Insolvenzgründen und -antragspflichten oder des Prinzips der Gläubigergleichbehandlung. Dabei wird die Frage, ob die Überschuldung als Insolvenzantragsgrund benötigt wird, ein interessanter Diskussionspunkt sein. Im Hinblick auf eine Entschuldungsfrist von drei Jahren fragt sich, ob diese nicht nur (Einzel-)Unternehmern, sondern gegebenenfalls auch Verbrauchern offenstehen soll.

    Im Bundesjustizministerium waren die bisherigen Pläne der EU-Kommission – insbesondere zum vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren – zwar offen, aber mit Zurückhaltung aufgenommen worden. Hatte sich doch der deutsche Gesetzgeber mit der Verabschiedung des ESUG im Jahr 2012 klar gegen ein eigenständiges Sanierungsverfahren außerhalb der Insolvenzordnung positioniert und stattdessen die vorläufige Eigenverwaltung gestärkt und durch ein „Schutzschirmverfahren“ aufgewertet. So steht im nächsten Jahr zunächst die Evaluierung dieser ESUG-Reformen aus dem Jahr 2012 an.

    In der Restrukturierungspraxis findet das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren viel Zuspruch, aber auch Kritik. Einerseits versprechen Sanierungsbemühungen umso mehr Erfolg, je früher sie eingeleitet werden. Kritiker sehen in einem solchen Verfahren, das dem Schuldner Zeit für Verhandlungen gibt, bei unsicherem Sanierungserfolg eine erhebliche Gefahr für die Gläubigerrechte.

    Jedenfalls sollten wir bei der weiteren Diskussion nicht ohne Grund alle Fortschritte über Bord werfen, die es in den vergangenen Jahren bei dem Versuch gegeben hat, eine echte Sanierungskultur in Deutschland zu etablieren. Das deutsche Insolvenz- und Sanierungsrecht bietet bereits jetzt einen zeitgemäßen Regelungsrahmen, der eine zügige Restrukturierung erhaltenswerter Unternehmen ermöglicht, ohne eine Liquidation bereits insolventer Schuldner hinauszuzögern.

    Winfried Bongartz, Rechtsanwalt

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