Newsletter 2/2022 Massemehrung durch Anfechtung bei Ausschüttung thesaurierter Gewinne im Lichte der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung
Das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 22. Juli 2021, IX ZR 195/20, zeigt, eingebettet in die Systematik der Insolvenzanfechtung nach § 135 Abs. 1, Abs. 2 InsO, vgl. hierzu BGH, Urt. v. 13. Oktober 2016, IX ZR 184/14, die Durchsetzung der Nachrangordnung gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO für Gesellschafterdarlehen und Rechtshandlungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen, für bestimmte Fallkonstellationen bei Ausschüttungen aus thesaurierten Gewinnen auf.
Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO hat der Gesellschafter in der Praxis schlechte Befriedigungsaussichten aus seinen Darlehens-rückzahlungsansprüche zu erwarten, da diese nach gesetzgeberischer Wertung im Insolvenzfall nachrangige Insolvenzforderungen sind. Dies kann der Gesellschafter i.d.R. auch nicht durch eine dingliche Absicherung im Gesellschaftsvermögen verhindern: Gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO unterliegt die Bestellung von Sicherheiten für Gesellschafterdarlehen, soweit sie in den letzten zehn Jahren vor Insolvenzantragstellung über das Vermögen einer Gesellschaft vorgenommen wurde, auch der Anfechtung. Gleiches gilt nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO für Darlehensrückzahlungen auf Gesellschafterdarlehen, soweit sie im letzten Jahr vor Antragstellung vollzogen wurden. Der Gesetzgeber hat im Rahmen der Novelle des Rechts der Gesellschafterdarlehen – in Abkehr zum früheren Recht – bewusst darauf verzichtet, nur solche Gesellschafterdarlehen den besonderen Rechtsfolgen der §§ 39, 135 InsO zu unterwerfen, die in der Unternehmenskrise gewährt oder stehengelassen werden. Die Jahresfrist in § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO definiert den Krisenzeitraum seitdem unwiderlegbar.
Die bisherige Einordnung der Thesaurierung von Gewinnen als Rechtshandlung, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entspricht, in den unteren Instanzen
Der Bundesgerichtshof knüpft an seine ständige Rechtsprechung an, vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2020, IX ZR 231/19, wonach es für die Beurteilung der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit einer Rechtshandlung mit einem Gesellschafterdarlehen entscheidend darauf ankommt, dass der Gesellschaft wie bei einem Darlehen zeitweise ein Kapitalwert zur Nutzung überlassen wird. Maßgeblich sei nicht die rechtliche Form, sondern die wirtschaftliche Funktion des Geschäfts. Auslegungsbedürftig ist dabei, welche Rechts-handlungen einem solchen Darlehen „wirtschaftlich entsprechen“. Besonders dann, wenn sich Gesellschafter Gewinne auszahlen lassen, die nicht im unmittelbar vorangegangenen Geschäftsjahr erwirtschaftet wurden, war lange fraglich, ob es sich bei diesen thesaurierten Gewinnen um ein Äquivalent zum Gesellschafterdarlehen handelt. Während das OLG Schleswig, Urteil vom 8. Februar 2017, 9 U 84/16, davon ausging, dass der Schutz des Stammkapitals nach §§ 30, 31 GmbHG für eine entsprechende Anwendung der insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften bei Gesellschafterdarlehen mit Eigenkapitalausschüttungen keinen Raum lasse, sprach sich das OLG Koblenz schon 2013, Urteil vom 15. Oktober 2013, 3 U 635/13, für eine Einordnung als darlehensgleiche Forderung und damit für eine Anfechtbarkeit aus.
Der Bundesgerichtshof ordnet die Ausschüttung thesaurierter Gewinne ein
Im dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 22. Juli 2021 zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der alleinige Gesellschafter der Schuldnerin in 2009 beschlossen, den im Geschäftsjahr 2008 erwirtschafteten Gewinn auf neue Rechnung vorzutragen. Wenige Monate danach fasste der Gesellschafter den abändernden Gesellschafterbeschluss, einen Teil dieses Gewinns auszuschütten und ließ sich die Summe auszahlen. Als kurz danach das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, verlangte der Insolvenzverwalter der Gesellschaft vom Gesellschafter die Rückzahlung der ausgeschütteten Gewinne.
Der Bundesgerichtshof ergänzt hier seine bisherige Rechtsprechung zu anfechtbaren Ausschüttungen an Gesellschafter, da er bereits in der Vergangenheit die Ausschüttung von sog. Scheingewinnen den Regelungen der unentgeltlichen Leistungen gemäß § 134 InsO unterworfen hat (BGH, Urteil vom 2. April 2000, IX ZR 225/09; Urteil vom 18. Juli 2013, IX ZR 198/10). Solche Ausschüttungen konnten bisher vom Insolvenzverwalter zurückgefordert werden, soweit sie in den letzten vier Jahren vor Antragstellung erfolgten. Rechtsgrundlose Ausschüttungen auf Ansprüche, die aus dem Eigenkapital stammen (u.a. Gewinnausschüttungen), unterliegen nach nunmehriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nur noch dann der Schenkungsanfechtung gemäß § 134 InsO, wenn den Organen der Gesellschaft die fehlende gesetzliche respektive gesellschaftsvertragliche Basis bekannt war. Auf die Kenntnis des begünstigten Gesellschafters kommt es dabei auch weiterhin nicht an (BGH, Urteil vom 5. März 2015, IX ZR 133/14; Urteil vom. 20. April 2017, IX ZR 189/16).
Der Bundesgerichtshof legt nunmehr dar, dass in dem Fall, dass Gewinnausschüttungen im Insolvenzvorfeld auf Basis ordnungsgemäßer Bilanzierung erfolgen, Eigenkapitalausschüttungen dem besonderen Anfechtungstatbestand des § 135 InsO nach seiner Auffassung (nur) dann unterworfen sind, wenn die Gewinne vorübergehend stehengelassen wurden. Dies sei der Fall, wenn die Gesellschafterversammlung die Thesaurierung der Gewinne durch Einstellung in den Gewinnvortrag oder in die Kapitalrücklage beschließt.
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Dr. Dean Didovic
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht