EuInsVO-Reform verabschiedet
Praxis des Insolvenzrechts: Reform der EuInsVO verabschiedet
Nach langjährigen Beratungen wurde im Mai die Neufassung der EuInsVO verabschiedet. Die Neuerungen sind in vielerlei Hinsicht bemerkenswert.
Zunächst wird der Anwendungsbereich der EuInsVO auf vorinsolvenzrechtliche Verfahren ausgeweitet. Dies soll die Rettung wirtschaftlich bestandsfähiger Unternehmen begünstigen, die sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden. Den Unternehmern soll eine „zweite Chance“ geboten werden. Insbesondere werden Verfahren hier mit einbezogen, die auf eine Sanierung des Schuldners gerichtet sind. Weiterhin sind klarstellend Eigenverwaltungsverfahren und ihre internationalen Pendants nunmehr vom Anwendungsbereich umfasst. Weiter gilt die EuInsVO nun auch für Verfahren, die einen vorläufigen Aufschub von Vollstreckungsmaßnahmen einzelner Gläubiger gewähren.
Weiteres Ziel ist die Verhinderung des sogenannten „Forum Shopping“. Hierunter versteht man, dass Vermögensgegenstände oder Gerichtsverfahren von einem Mitgliedstaat in den anderen verlagert werden, um auf diese Weise eine günstigere Rechtsstellung zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger zu erlangen. Das zuständige Gericht hat vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens von Amts wegen zu prüfen, ob sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen („centre of main interest“ = COMI) des Schuldners oder der Niederlassung des Schuldners tatsächlich in seinem Zuständigkeitsbereich befindet.
Um Missbrauch zu vermeiden, gilt die Vermutung der örtlichen Zuständigkeit eines Insolvenzgerichtes am Ort des Sitzes einer Gesellschaft erst ab drei Monaten nach Sitzverlegung. Bei natürlichen Personen beträgt die Periode bezogen auf den Wechsel des Ortes ihres gewöhnlichen Aufenthaltes sogar sechs Monate. Hier hatte es in den letzten Jahren immer weitere Aufweichungen des Begriffes und in diesem Zuge prominente Unternehmensverlagerungen gegeben. Allerdings ist eine Frist von nur drei Monaten bei Unternehmen zweifelsohne ungeeignet, missbräuchliche COMI-Verlagerungen zu verhindern.
Gem. Art. 6 EuInsVO sind die Gerichte des Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, zuständig für alle Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen. Dieser einheitliche örtliche Gerichtsstand gilt für alle Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen.
Der Insolvenzverwalter kann damit vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, auch gegen Beklagte aus anderen Mitgliedstaaten klagen. So wird endlich Klarheit in Hinblick auf Anfechtungsklagen und Geschäftsführerhaftung geschaffen. Schließlich regelt die neue EuInsVO auch erstmals Konzerninsolvenzen. Die EuInsVO hat die Zielsetzung, die effiziente Führung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen verschiedener Gesellschaften einer Unternehmensgruppe zu gewährleisten.
Wird die Eröffnung des Gruppen-Koordinationsverfahrens bei Gerichten verschiedener Mitgliedsstaaten beantragt, so haben sich die später angerufenen Gerichte für unzuständig zu erklären. Dieses Prioritätsprinzip findet aber nicht durchgehend Anwendung. Es gilt nicht, wenn sich die Insolvenzverwalter mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln auf ein anderes zuständiges Gericht eines Mitgliedsstaates einigen. Die Regelungen zur Koordinierung muten praxisfern an. Hier ist der große Wurf verpasst worden. Ab dem 26.06.2017 wird die Neufassung der Verordnung zur Reform des europäischen Insolvenzrechts gelten. Für alle Verfahren, die vor diesem Zeitpunkt eröffnet worden sind oder noch werden, findet das bisherige Recht weiter Anwendung.
Mirko Lehnert
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Insolvenzrecht