„Neues“ Insolvenzanfechtungsrecht: Erste BGH-Entscheidung zur Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) nach Inkrafttreten der Reform
Das sogenannte Anfechtungsreformgesetz ist inzwischen seit über drei Jahren in Kraft. Es gilt für alle Insolvenzverfahren, welche ab dem 5. April 2017 eröffnet worden sind. Am 7. Mai 2020 hatte sich nun der Bundesgerichtshof erstmals in einer Entscheidung mit dem „neuen“ Recht zu befassen (BGH, Urteil v. 07.05.2020 – IX ZR 18/19).
In dem zugrunde liegenden Verfahren ging es um die Anfechtbarkeit von erlangten Zahlungen aus einer Ratenzahlungsvereinbarung, die die beklagte Bank über einen zuvor wegen nicht gezahlter Darlehensraten fällig gestellten Kredit mit einem Unternehmenskunden getroffenen hatte.
In diesem Zusammenhang führt der BGH zur Frage der Vermutungsregelungen des § 133 InsO – in der hier anwendbaren Fassung vom 5. April 2017 – Folgendes aus:
Eine unternehmerische Tätigkeit des Schuldners rechtfertigt den Schluss auf eine Kenntnis des Anfechtungsgegners von anderen, durch die angefochtene Rechtshandlung benachteiligten Gläubigern nur dann, wenn der Anfechtungsgegner von dieser Tätigkeit weiß.
Die zweite Vermutungsvoraussetzung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO steht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in einem engen Zusammenhang mit der ersten: Weiß der Anfechtungsgegner von der drohenden oder bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, muss er grundsätzlich auch davon ausgehen, dass Zahlungen an ihn selbst andere Gläubiger benachteiligen. Deshalb indiziere das Vorliegen der ersten Vermutungsvoraussetzung regelmäßig auch das Vorliegen der zweiten (so der BGH, Urteil vom 4. Mai 2017 – IX ZR 285/16). Dies gelte aber nur dann, wenn der Anfechtungsgegner wisse, dass es noch andere Gläubiger gibt, deren Forderungen vom Schuldner nicht vollständig bedient werden. Mit letzterem müsse ein Gläubiger zwar rechnen, wenn der Schuldner unternehmerisch tätig sei. Denn dann wisse der Gläubiger nämlich regelmäßig auch, dass Leistungen aus dem Vermögen des Schuldners an ihn die Befriedigungsmöglichkeiten anderer Gläubiger beeinträchtigen. Deshalb sei der Anfechtungsgegner dann regelmäßig auch über den Benachteiligungsvorsatz im Bilde (so ständige Rechtsprechung des BGH).
Allerdings – so stellt der BGH klar – gestatte eine unternehmerische Tätigkeit des Schuldners diesen Rückschluss nur dann, wenn der Anfechtungsgegner auch (positive) Kenntnis von dieser unternehmerischen Tätigkeit gehabt habe.
Zudem führen die vom BGH anlässlich dieser Entscheidung veröffentlichten Leitsätze zur Frage der Vermutungsregelung des § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO bei Abschluss einer Zahlungsvereinbarung Folgendes aus:
Bei der Vermutung, dass der andere Teil im Falle einer Zahlungsvereinbarung oder einer sonstigen Zahlungserleichterung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zur Zeit der angefochtenen Handlung nicht kannte, handelt es sich um eine widerlegbare gesetzliche Vermutung.
Vermutungstatbestand sei der Abschluss einer Zahlungsvereinbarung oder die Gewährung einer sonstigen Zahlungserleichterung, Vermutungsfolge die Nichtkenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zur Zeit der angefochtenen Handlung.
Zur Widerlegung der Vermutung kann sich der Insolvenzverwalter auf alle Umstände berufen, die über die Gewährung der Zahlungserleichterung und die darauf gerichtete Bitte des Schuldners hinausgehen.
Um die Vermutungsfolge zu widerlegen, könne sich der Insolvenzverwalter auf sämtliche Umstände berufen, mit Ausnahme der den Vermutungstatbestand bildenden Umstände selbst. Dies ergebe sich aus der Gesetzesbegründung.
Die Vermutung kann auch durch den Nachweis widerlegt werden, dass der Anfechtungsgegner Umstände kannte, die bereits vor Gewährung der Zahlungserleichterung bestanden und aus denen nach der gewährten Zahlungserleichterung wie schon zuvor zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu schließen war.
Auch dem Anfechtungsgegner bekannt gewordene Umstände aus der Zeit vor der Zahlungsvereinbarung könnten den Beweis erbringen, dass dieser im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hatte: War dem Anfechtungsgegner zum Zeitpunkt einer Zahlungsvereinbarung oder einer sonstigen Zahlungserleichterung bereits aus anderen Gründen bekannt, dass der Schuldner zahlungsunfähig war, beseitige die Vereinbarung einer Zahlungserleichterung diese Kenntnis in der Regel nicht. Der Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung über die Verbindlichkeit des Schuldners gegenüber dem Anfechtungsgegner lasse dessen Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit nur dann entfallen, wenn die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auf eben dieser Verbindlichkeit beruhe.
Ausblick
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass auch weiterhin Spielraum für eine Argumentation mit den neuen Vermutungsregeln des § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO verbleibt.
Winfried Bongartz
Rechtsanwalt